Roland Girtler ist der Sohn des ehemaligen Gemeinde- und Landarztes von Spital am Pyhrn Roland Girtler und der Landärztin Leopoldine Girtler.[1] Er ist ein Enkel des Bauingenieurs und Hochschullehrers Rudolf Girtler.[2] Nach eigenen Angaben ist Roland Girtler ein Nachfahre des Seefahrers Jacques Cartier.[3]
Im Alter von drei Jahren zog seine Mutter mit ihm und seinem Bruder Dieter in die Lüneburger Heide, wo sein Vater in einem Lazarett als Arzt tätig war.[4] Nach Ende des Zweiten Weltkrieges verbrachte er seine Kindheit und Jugend in Spital am Pyhrn, wo er die Volksschule besuchte. Von 1951 bis 1959 besuchte er das humanistische Stiftsgymnasium Kremsmünster im Stift Kremsmünster, an dem er auch maturierte.[5][6]
1959 inskribierte Girtler an der Universität Wien Rechtswissenschaften[4] und wurde 1960 in der schlagenden Studentenverbindung Corps Symposion Wienrecipiert. Zweimal zeichnete er sich als Consenior aus.[7] Ab 1967, vor der Ablegung der dritten Staatsprüfung der Rechtswissenschaften,[4] studierte er an der philosophischen Fakultät der Universität WienEthnologie, Urgeschichte, Philosophie und Soziologie. Während des Studiums heiratete er und arbeitete als Bierausfahrer, Arbeiter am Naschmarkt und als Filmkomparse. 1971 wurde er zum Doktor der Philosophie promoviert, 1979 habilitierte er sich an der Universität Wien. Er ist unter anderem Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte, des Österreichischen Alpenvereins, der Naturfreunde und der Anthropologischen Gesellschaft in Wien.[8][9] Mit den Burschenschaften hat sich Roland Girtler auch publizistisch auseinandergesetzt.[10]
Seine Forschungsschwerpunkte sind die Kultursoziologie, Randkulturen und der Bauernstand in Österreich sowie Siebenbürgen. Als unkonventioneller Forscher und akademischer Lehrer stellte Girtler 10 Gebote der Feldforschung auf. Im Handbuch Methoden der Feldforschung stellte Girtler erstmals seine Feldforschungsmethode des ero-epischen Gesprächs vor. Bei dieser Form des qualitativen Interviews begibt sich der Forscher auf Augenhöhe zum Interviewpartner und regt den Erzählfluss auch durch eigene Erzählungen, Meinungen und Suggestivfragen an.[12]
Bekannt ist Girtler als ein passionierter Verfechter des Fahrrads als ideales Verkehrsmittel, auch um sich den untersuchten Milieus besser nähern zu können. So sind seine Bücher Über die Grenzen. Ein Kulturwissenschaftler auf dem Fahrrad und Vom Fahrrad aus: Kulturwissenschaftliche Gedanken und Betrachtungen aus der Perspektive eines Radfahrers geschrieben. Seine in der Sonntagsausgabe der Kronen Zeitung erscheinende Kolumne Streifzüge, in der er sich selbst als „vagabundierenden Kulturwissenschaftler“ bezeichnet, beginnt er oft mit dem Hinweis, dass er sein im Text beschriebenes Ziel mit Bahn und/oder Fahrrad erreicht hat. Die Kolumne endet meistens mit den Worten „Ich wünsche [meinen Gesprächspartnern] das Beste und ziehe weiter“. Auch im Drahtesel der ARGE Fahrrad schreibt er regelmäßig.
Die Rechtsnormen der souveränen Eingeborenengruppen in Nordwestaustralien: ein Beitrag zur Methode der Rechtsethnologie, Wien 1971, ÖNB Hauptabteilung Heldenplatz (Dissertation Universität Wien 1971, 250 Seiten).
Die demokratische Institution des Panchayat in Indien: ein Vergleich der „gesetzlichen“ und der „traditionellen“ Panchayat. Institut für Völkerkunde der Universität Wien, 1972 (= Acta ethnologica et linguistica: Series Indica, Nr. 28, Acta ethnologica et linguistica: Series Indica, Nr. 5).
Der Adler und die drei Punkte. Die gescheiterte, kriminelle Karriere des ehemaligen Ganoven Pepi Taschner.Böhlau, Wien 1983, ISBN 3-205-07207-3. Neu aufgelegt 2007 als 2. Aufl., Jubiläumsausgabe, ISBN 978-3-205-77610-9.
Aschenlauge. Bergbauernleben im Wandel. Landesverlag, Linz 1988. Neu aufgelegt: Aschenlauge. Die alte Kultur der Bauern. Böhlau, Wien 2012, ISBN 978-3-205-78858-4.
Über die Grenzen. Ein Kulturwissenschaftler auf dem Fahrrad, Veritas, Linz, 1991, ISBN 3-85329-869-9.
Vaganten, Studenten, die Kultur des Alkohol und das Ideal der Freiheit. In: Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung, Band 36 (1992), S. 71–91.
Verbannt und vergessen – der Untergang der Landler in Siebenbürgen. Veritas, Linz 1992, ISBN 3-85329-978-4. Neu aufgelegt: Die Landler in Rumänien. Eine untergegangene deutschsprachige Kultur. Lit, Wien 2014, ISBN 978-3-643-50558-3.
Die feinen Leute. Campus, Frankfurt am Main 1989. Neu aufgelegt bei Böhlau, Wien 2002, ISBN 3-593-34133-6; mit neuer Einleitung 2016 (Titel: Feine Leute: Aristokraten und Bürger, Geistliche und Gauner, Künstler und Stars) bei LIT, Wien 2016, ISBN 978-3-643-50704-4.
Franz Boas. Burschenschafter und Schwiegersohn eines österreichischen Revolutionärs von 1848.PDF; 2003. Anthropos, Zaunrith, 2001/96/572 ISSN0257-9774.
10 Gebote der Feldforschung. Pocket Band 2. 2. Auflage. Lit, Wien 2009, ISBN 978-3-8258-7700-2.
Vom Fahrrad aus. Pocket Band 3, 2. Auflage. Lit, Wien 2011 (Erstausgabe 2004), ISBN 978-3-8258-7826-9.
Irrweg Jakobsweg. Die Narbe in den Seelen von Muslimen, Juden und Ketzern. Steirische Verlagsgesellschaft, Graz 2005, ISBN 3-900323-85-2.
Abenteuer Grenze. Von Schmugglern und Schmugglerinnen, Ritualen und „heiligen“ Räumen, Pocket Band 7. Lit, Wien u. a. 2006, ISBN 3-8258-9575-0.
Kulturanthropologie. Eine Einführung, Pocket Band 8, Lit, Wien u. a. 2006, ISBN 3-8258-9576-9.
Ein Lesebuch. Das Beste vom vagabundierenden Kulturwissenschafter. Böhlau, Wien 2006, ISBN 978-3-205-77492-1.
„Herrschaften wünschen zahlen“. Die bunte Welt der Kellnerinnen und Kellner. Böhlau, Wien 2008, ISBN 978-3-205-77764-9.
Eigenwillige Karrieren, wer seine eigenen Wege geht, kann nicht überholt werden. Böhlau, Wien 2011, ISBN 978-3-205-78644-3.
Max Weber in Wien. Sein Disput mit Joseph Schumpeter im Café Landtmann; das alte Institut für Soziologie: Paul Neurath, René König und seine übrigen Bewohner nebst dazugehöriger Geschichten über Trinkrituale, Duelle und Ganoven. Lit, Wien / Berlin / Münster 2013, ISBN 978-3-643-50473-9.
Farbenstudenten zwischen Weltbürgertum und Antisemitismus. Lit Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-643-13252-9.
Streifzug durch den Wiener Wurstelprater. Die bunte Welt der Schausteller und Wirte. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2016, ISBN 978-3-205-20280-6.
Girtler unterwegs. Gespräche mit sieben Zeitgenossen. Böhlau, Wien 2018, ISBN 978-3-205-20726-9.
Die wechselseitige Niedertracht der Wissenschaftler. Lit, Wien 2020, ISBN 978-3-643-50935-2 (Reihe: anmerkungen zum wissenschaftsbetrieb, Band 12)
Die 13 Geheimnisse des Kahlenbergs – oder "Wie heirate ich richtig" von Alois Ulreich. Lit, Wien 2020, Reihe: Pocket, Band 22, ISBN 978-3-643-51023-5.
Literatur
Hubert Christian Ehalt, Josef Hochgerner, Wilhelm Hopf (Hrsg.): Die Wahrheit liegt im Feld. Roland Girtler zum 65. Geburtstag. Lit Verlag, Wien u. a. 2006, ISBN 3-7000-0508-3.
Hubert Knoblauch: Ethnografie und Soziologie – eine verspätete Danksagung an Roland Girtler. In: Soziologische Revue, 30. Jg., Heft 3, Juli 2007, S. 223–231.
„Es hat geholfen, dass die meisten mich für einen Wahnsinnigen halten“. Interview Roland Girtler durch Carsten Beck. CORPS (Deutsche Corpszeitung), 121. Jg., Ausgabe 2/2019, S. 18–23.
↑Roland Girtler: Landärzte. Als Krankenbesuche noch Abenteuer waren. Böhlau, 2. Aufl., Wien/Köln/Weimar, ISBN 3-205-99012-9, S. 31.
↑Hubert Christian Ehalt, Josef Hochgerner, Wilhelm Hopf (Hrsg.): Die Wahrheit liegt im Feld. Roland Girtler zum 65. Geburtstag. Lit Verlag, Wien u. a. 2006, ISBN 3-7000-0508-3, S. 78.
↑ abcDie Wahrheit liegt im Feld. Ö1-Radiointerview mit Martin Haidinger in der Reihe Salzburger Nachtstudio. 26. Mai 2021 (orf.at [abgerufen am 27. Mai 2021]).
↑Roland Girtler auf stifterhaus.at, abgerufen am 20. März 2024.
↑„Als widerspenstiger Schüler wurde ich in Kremsmünster Überlebenskünstler“. Der Soziologe Roland Girtler denkt an „wunderbare Lehrer“ in der Klosterschule zurück. In: Oberösterreichische Nachrichten, 5. April 2012 (online).
↑Roland Girtler. Kurzbiografie in: Clemens Aigner, Gerhard Fritz und Constantin Staus-Rausch (Hrsg.): Das Habsburger-Trauma: Das schwierige Verhältnis der Republik Österreich zu ihrer Geschichte. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2014, ISBN 978-3-205-78917-8, S. 142f. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Farbenstudenten. In: Roland Girtlers Erkundungen. Roland Girtler (Hrsg.)
↑Vgl. Roland Girtler: Farbenstudenten zwischen Weltbürgertum und Antisemitismus. Lit Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-643-13252-9. Vgl. weiters: Roland Girtler: Franz Boas. Burschenschafter und Schwiegersohn eines österreichischen Revolutionärs von 1848. (PDF; 2003) Anthropos, Zaunrith, 2001/96/572 ISSN0257-9774.
↑Hubert Christian Ehalt, Josef Hochgerner, Wilhelm Hopf (Hrsg.): Die Wahrheit liegt im Feld. Roland Girtler zum 65. Geburtstag. Lit Verlag, Wien u. a. 2006, ISBN 3-7000-0508-3.